Wenn es um die deutsche Geschichte geht, gibt es nur wenige Namen, die so bekannt sind wie Willy Brandt. Als ehemaliger Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland erlangte Brandt weltweite Anerkennung für seine Rolle als Vorreiter der Ostpolitik und seine berühmte Geste, als er 1970 vor dem Denkmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto niederkniete. In seiner Biografie „Willy Brandt: Sozialist, Kanzler, Patriot“ gibt Gunter Hofmann einen umfassenden Überblick über Leben und Wirken eines der bedeutendsten deutschen Politiker.
Hofmann beginnt mit einer Chronik von Brandts frühem Leben als sozialistischer Jugendführer vor dem Zweiten Weltkrieg und seinem anschließenden Exil in Skandinavien während der Naziherrschaft. Er erörtert, wie Brandt die Erfahrungen dieser Zeit nutzte, um seine politischen Überzeugungen zu prägen und in der deutschen Nachkriegspolitik erfolgreich zu sein. Laut Hofmann war eine von Brandts erfolgreichsten Leistungen seine Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands nach dem Fall des Kommunismus, indem er eine Reihe von Verträgen mit der DDR abschloss – eine Initiative, die ihm 1971 den Friedensnobelpreis einbrachte.
Im Dezember 1913 in Lübeck als Sohn einer Arbeiterfamilie geboren, engagierte Willy Brandt sich schon als junger Mann in der Politik. Nachdem er der Deutschen Arbeiterpartei (SPD) beigetreten war, stieg er schnell in deren Reihen auf, bevor er 1957 im Alter von 43 Jahren zum Bürgermeister von West-Berlin gewählt wurde. Hier hat Brandt wirklich Geschichte geschrieben, denn er erwarb sich den Ruf eines geschickten Unterhändlers und fähigen Diplomaten, der Ost-West-Gegensätze überbrücken konnte, wenn andere es nicht konnten.
Während seiner gesamten Amtszeit als Bürgermeister setzte sich Brandt unermüdlich für den Frieden zwischen Ost- und Westdeutschland ein. Im Rahmen seiner berühmten „Ostpolitik“ unternahm er ausgedehnte Reisen durch Osteuropa, um die Beziehungen zu Ländern wie der Sowjetunion und Polen auszubauen. Diese Bemühungen führten schließlich zu Verträgen wie dem Moskauer Vertrag von 1970, mit dem erstmals seit 1949 wieder diplomatische Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschland aufgenommen wurden – eine Leistung, für die ihm zwei Jahre später der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
Im Inland war Brandt ebenso aktiv. Im Jahr 1969 wurde er Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, wo er bahnbrechende Sozialreformen einführte, darunter höhere Zuschüsse für Kinderbetreuung und Renten sowie Maßnahmen zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte für Gewerkschaftsmitglieder. Im weiteren Verlauf seiner Karriere verlagerte sich sein Schwerpunkt wieder auf die Außenpolitik, was 1974 in seinem Rücktritt vom Amt gipfelte, nachdem Enthüllungen über die Auslandsspionagetätigkeit eines seiner Mitarbeiter bekannt geworden waren.
Das Buch befasst sich auch mit Aspekten von Brandts Privatleben, die weitgehend von seinen öffentlichen Erfolgen überschattet wurden. Hofmann untersucht Brandts komplizierte Beziehung zu seiner Frau und seiner Geliebten sowie seinen Umgang mit Schuldgefühlen, weil er Deutschland während des Zweiten Weltkriegs verlassen hatte und die Gräueltaten der Nazis in dieser Zeit nicht verhindern konnte. Darüber hinaus zeichnet der Autor ein anschauliches Bild davon, wie es Brandt gelang, die privaten Kämpfe mit seiner öffentlichen Rolle als Verfechter von Frieden und Freiheit in ganz Europa und darüber hinaus in Einklang zu bringen.
Das Buch ist eine gründliche Untersuchung des Vermächtnisses von Willy Brandt und es erfasst sowohl die Komplexität von Brandts persönlichem Leben als auch den Einfluss, den er auf die deutsche Gesellschaft als Ganzes hatte. Hofmanns Biografie einer so bedeutenden Figur der modernen deutschen Geschichte verdient Lob für ihre Tiefe und Detailgenauigkeit.
Gunter Hofmann ist ein erfahrener Journalist, der seit 1972 für die ZEIT schreibt. Er ist vor allem für seine Bücher über prominente Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker und Helmut Schmidt bekannt. „Willy Brandt: Sozialist, Kanzler, Patriot“ gehört jedoch zweifellos zu Hofmanns bisher besten Werken, sowohl wegen seiner umfassenden Behandlung des Themas als auch wegen seines fesselnden Erzählstils – was es zu einer Pflichtlektüre für jeden macht, der die moderne deutsche Geschichte tiefer verstehen will.