Als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts hat Günter Grass einen festen Platz im deutschen literarischen Kanon. Sein Werk zeichnet sich durch eine unverwechselbare Sprache und ein tief verwurzeltes Engagement für die Demokratie aus. Doch hinter der öffentlichen Persönlichkeit verbarg sich ein Mann mit Ecken und Kanten – und genau diesen versucht der Autor Michael Jürgs in seiner Biografie „Bürger Grass“ zu porträtieren.
Das im Mai 2015 erschienene Buch ist eine aktualisierte Neuausgabe der bereits 2002 veröffentlichten Biografie. Jürgs hat zahlreiche Gespräche mit Grass geführt und viele seiner Wegbegleiter interviewt. Dabei geht es ihm nicht nur um die öffentliche Person, sondern vor allem um den Menschen Günter Grass. Jürgs zeigt Grass als Patrioten, der sein Land liebte, aber sich auch sehr kritisch mit gesellschaftlichen, politischen und sozialen Fragen und der unrühmlichen deutschen Vergangenheit auseinandersetzte.
Ein zentrales Thema der Biografie ist Grass‘ Engagement für die Sozialdemokratie und für Willy Brandt. Jürgs schildert eindrucksvoll Grass‘ Aktivitäten im Wahlkampf, seine Reden und Auftritte, die viele Menschen begeisterten. Dabei zeigt er auch, wie Grass sich immer wieder selbst in Frage stellte und kritisch mit seinen eigenen Entscheidungen auseinandersetzte.
Grass war nicht nur Schriftsteller, sondern auch Maler, Bildhauer und Grafiker. Jürgs zeigt, wie sehr Grass künstlerische Ausdrucksformen miteinander verwoben waren. Die vielen Zeichnungen, Skulpturen und Gemälde, die in der Biografie abgebildet sind, geben dem Leser einen Einblick in Grass‘ Verständnis von Kunst. Gleichzeitig zeigt Jürgs auch, wie wichtig die Kunst für Grass als Mittel war, seine politischen Überzeugungen zu transportieren.
Günter Grass gestand im hohen Alter ein, als 17-jähriger Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, was Debatten zur seiner Rolle als moralische Instanz im Nachkriegsdeutschland zur Folge hatte. Jürgs nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die dunklen Seiten von Grass‘ Biografie beleuchtet und zeigt aber gleichzeitig auf, dass Grass sich in der Nachkriegszeit mit der Frage der Schuld auseinandergesetzt und sich aktiv für Versöhnung und Frieden eingesetzt hat.
„Bürger Grass“ ist eine lesenswerte Biografie, die den Schriftsteller aus einer neuen Perspektive zeigt. Jürgs gelingt es auf sehr differenzierte Weise, Grass als Menschen zu porträtieren und sein Werk und seine Bedeutung für die deutsche Literaturgeschichte zu würdigen.
Michael Jürgs ist als Journalist und Autor bekannt geworden. Er war unter anderem Chefredakteur beim Nachrichtenmagazin „Stern“ und hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht.