Das Buch „América“ von T.C. Boyle erzählt die Geschichte von Delaney Mossbacher, einem Journalisten aus Los Angeles, der zusammen mit seiner Frau und seinem Stiefsohn in einer Villensiedlung nahe der mexikanischen Grenze lebt. Eines Tages kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen Delaney und einem illegalen Einwanderer aus Mexiko, Cándido, der Delaneys Weltbild vollkommen auf den Kopf stellt.
Das Buch zeichnet ein faszinierendes Porträt von Amerika und seinen sozialen Disparitäten. Delaney ist ein gutmütiger und gebildeter Mann, der sich für sozial engagiert hält und sich gegen Diskriminierung einsetzt. Doch als sein perfektes Leben plötzlich von der Realität eingeholt wird, gerät er in einen Strudel aus Misstrauen, Vorurteilen und Selbstzweifeln.
Die Begegnungen zwischen Delaney und Cándido sind von bitterer Situationskomik geprägt. Der Zusammenstoß am Anfang des Buches ist geradezu absurd: Delaney beobachtet Cándido dabei, wie er versucht, einen Dorn aus seinem Fuß zu ziehen und stolpert selbst über einen Stein. Der Zusammenprall wirkt wie eine warnende Metapher für die kommende Katastrophe.
Doch obwohl die Lage ernst ist – Cándido wird durch den Unfall schwer verletzt und muss sich fortan allein durchschlagen – gibt es immer wieder Momente, die zum Lachen reizen. Wenn Delaney und Cándido sich beispielsweise in einem Waschsalon treffen und Delaney sich peinlich berührt fragt, ob Cándido seine Unterhosen gesehen hat. Oder wenn Delaney versucht, Cándido zu helfen und ihm eine luftige Jacke schenkt, die ihn in der Wärme Kaliforniens fast erstickt.
Durch die Augen von Delaney und Cándido wird dem Leser ein Einblick in die beängstigende Realität illegaler Einwanderer in Amerika gewährt: die Angst vor den Behörden, die Ausbeutung durch skrupellose Arbeitgeber und die ständige Bedrohung durch Gewalt und Rassismus. Boyle kreiert eine Welt voller Kontraste und zeigt dabei, dass Amerika nicht nur aus schönen Stränden und luxuriösen Villen besteht, sondern auch aus Armut und Elend.
T.C. Boyle hat sich mit „América“ als kritischer Beobachter der amerikanischen Gesellschaft etabliert. Er beschreibt die Tragödie illegaler Einwanderer mit Humor und Feingefühl, ohne dabei den Ernst der Lage zu vernachlässigen. Boyle hat ein Händchen dafür, aus schwierigen Themen hervorragende Literatur zu machen und beweist sich erneut als Meister seines Fachs.
Tom Coraghessan Boyle, geboren als Thomas John Boyle, gab sich mit 17 Jahren selbst den irischen Namen Coraghessan nach einem Vorfahren mütterlicherseits. Er studierte Englisch und Geschichte an der State University of New York und schloss 1968 mit einem Bachelor of Arts ab. Später erwarb er an der University of Iowa einen Doktorgrad in englischer Literatur des 19. Jahrhunderts. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller, war Boyle seit 1978 auch als Englisch-Professor tätig und seit 1986 als ordentlicher Professor an der University of Southern California. Seine Erzählungen und Kurzgeschichten erscheinen regelmäßig in renommierten amerikanischen Zeitschriften und er ist seit 2009 Mitglied der American Academy of Arts and Letters.
„América“ ist ein großartiges Buch, das von bitterer Situationskomik und herzzerreißender Tragik gleichermaßen geprägt ist. Es regt zum Nachdenken an und gibt einen Einblick in eine Welt, von der man sonst nur wenig hört. T.C. Boyle ist ein außergewöhnlicher Autor, der es versteht, das Herz der amerikanischen Gesellschaft zu erfassen und es auf Papier zu bannen.