Hans Joachim Schädlichs „Kokoschkins Reise“ ist eine bewegende Erzählung eines Mannes, der trotz aller Härten die Hoffnung nie aufgegeben hat. Das Buch beleuchtet die lange Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts durch die Augen von Fjodor Kokoschkin, der als Kind den schrecklichen Tod seines Vaters in St. Petersburg miterleben musste. Kokoschkins Geschichte ist geprägt von vielen Schicksalsschlägen, doch er hat sich niemals unterkriegen lassen und ist in den USA zu einem erfolgreichen Geschäftsmann aufgestiegen.
Der Leser begleitet Kokoschkin auf seiner Reise auf der Queen Mary 2, seinem Rückweg in die USA, wo er in den dreißiger Jahren eine neue Heimat gefunden hat. Während er jeden Tag auf See verbringt, werden Erinnerungen an Orte seiner Vergangenheit wieder lebendig: St. Petersburg, wo er seine Kindheit verbracht hat und wo sein Vater von den Bolschewiken ermordet wurde; Odessa, wohin seine Mutter mit ihm floh; Berlin, bevor die Nazis sich breit machten.
Das Buch ist sehr poetisch und melancholisch geschrieben, ohne dabei in Kitsch abzudriften. Schädlich beschreibt die Erlebnisse von Kokoschkin sehr präzise und detailreich, so dass man sich seine Erlebnisse sehr gut vorstellen kann. Obwohl die Geschichte anfangs sehr traurig anmutet, schafft es Schädlich, dem Leser ein Gefühl von Hoffnung zu geben, dass alles immer besser werden kann. Einige der schönsten Momente des Buches sind die Gespräche, die Kokoschkin mit anderen Passagieren führt. Hier kommen seine Lebensweisheit und Erfahrungen zum Vorschein, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat.
Das Buch ist ein wunderschön geschriebenes Porträt des zwanzigsten Jahrhunderts, das sich nicht nur auf die Geschichte Europas und Russlands konzentriert, sondern auch die Geschichte der USA miteinbezieht. Es ist eine Geschichte über Verlust, Trauer, Hoffnung und die Fähigkeit des Menschen, sich immer wieder aufzurappeln und erneut zu beginnen.
Hans Joachim Schädlich wurde 1935 in Reichenberg geboren und wuchs in Sachsen auf. Er studierte Germanistik und Anglistik in Leipzig und promovierte 1960. Von 1961 bis 1977 war er als Lektor beim Aufbau-Verlag tätig und wurde 1979 aus politischen Gründen ausgebürgert. Er arbeitete von da an als Schriftsteller und Übersetzer. Schädlich selbst würde sich wahrscheinlich als Preisträger nicht wichtig nehmen, denn er hat stets betont, dass es ihm nicht um Ruhm oder Anerkennung geht, sondern nur um die Literatur selbst.
Das Buch „Kokoschkins Reise“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass Schädlich ein unglaublich talentierter Autor ist, dessen Schreibstil jeden Leser verzaubert. Es ist ein Buch, das man jedem empfehlen kann, der sich für Geschichte, Literatur oder einfach nur gute Geschichten interessiert.