Ulrike Draesners Roman „Mitgift“ ist ein tiefgründiges Werk, das sich mit gesellschaftlich wichtigen Themen wie dem Umgang mit Diversität und dem Druck, in die binäre Geschlechterordnung zu passen, auseinandersetzt. In der Geschichte der Schwestern Anita und Aloe Böhm wirft der Roman wichtige Fragen auf und fordert den Leser dazu auf, über das eigene Verständnis von Geschlechterrollen und Körperlichkeit nachzudenken.
Anita, die jüngere der beiden Schwestern, wurde als Intersex geboren. Ihre Eltern und Ärzte versuchten, ihre körperliche Geschichte zu tilgen und verheimlichten dies vor beiden Schwestern. Die Operationen und hormonellen Behandlungen, die Anita durchmachte, hatten jedoch traumatische Auswirkungen auf sie. Aloe hingegen, die „normale“ Schwester, beginnt während ihres Studiums, sich mit ihrer eigenen Körperlichkeit auseinanderzusetzen und stellt die binäre Geschlechterordnung in Frage.
Das Buch ist in einem sehr poetischen und literarischen Stil geschrieben, der sich durch viele Rückblenden und metaphorische Beschreibungen auszeichnet. Draesners Sprache ist tiefgründig und vielschichtig. Sie schafft es, die Emotionen und Erfahrungen der Charaktere auf eine sehr eindringliche Art und Weise zu schildern.
Besonders beeindruckend an diesem Buch ist auch die Art und Weise, wie Draesner veraltete und moralisch fragwürdige Praktiken im Umgang mit Intersexuellen aufdeckt. Sie zeigt, wie die medizinische Praxis in der Vergangenheit dazu beigetragen hat, dass Intersexuelle sich gesellschaftlichen Erwartungen zu unterwerfen versucht haben. Dabei thematisiert sie auch die Rechte von Intersexuellen und setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der Diversität akzeptiert und gefördert wird.
Ulrike Draesner, geboren 1962 in München, ist eine preisgekrönte Autorin und Übersetzerin. Sie studierte Anglistik und Germanistik an der FU Berlin und promovierte in Linguistik. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin und Übersetzerin arbeitet Draesner auch als Professorin an der Universität Bremen. Der Bezug zwischen ihrem akademischen Werdegang und dem Inhalt von „Mitgift“ ist offensichtlich, da der Roman sich intensiv mit der Sprache und der Konstruktion von Geschlechtsidentitäten auseinandersetzt.
Insgesamt ist „Mitgift“ ein wichtiges und berührendes Buch, das einen unvergesslichen Eindruck hinterlässt. Es fordert den Leser dazu auf, über zentrale Fragen der Identität und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Diversität nachzudenken. Draesner ist eine der wichtigsten Stimmen in der deutschen Gegenwartsliteratur, die es schafft, komplexe Themen auf eine anspruchsvolle und doch zugängliche Art und Weise zu behandeln. Empfehlenswert für jeden Leser, der nach tiefgründiger und relevanter Literatur sucht.