In „Unternehmer“ von Matthias Nawrat begleiten wir den Vater, die 13-jährige Lipa und ihren kleinen Bruder Berti auf einem gefährlichen Beutezug. Die drei sind Unternehmer im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie suchen in Fabriken nach Magnetspulenherzen, um diese bei einem Mann namens Klimpergold gegen Geld zu tauschen. Doch die Zeiten sind hart, die Nachfrage sinkt und so sind sie gezwungen, immer riskantere Beutezüge durchzuführen.
Nawrat versteht es meisterhaft, die Leserinnen in die düstere und beklemmende Atmosphäre dieser postindustriellen Welt zu entführen. Dabei lässt er in seinem Schreibstil bewusst Leerstellen und Andeutungen, die Raum für eigene Interpretationen und Gedanken der Leserinnen lassen. Die Dialoge zwischen den Charakteren sind knapp und präzise, tragen aber dennoch viel zur Charakterisierung bei.
Auch die Landschaft, durch die sich die Protagonisten bewegen, spielt eine wichtige Rolle. Die Ravenna-Schlucht und die Ruinenstadt Staufen bilden eindrucksvolle Kulissen für diese dystopische Geschichte. Nawrat beschreibt die verfallenen Fabriken und Industrieanlagen detailliert und unheimlich realistisch, sodass man fast den Verfall riechen und spüren kann.
Besonders beeindruckend ist auch die Figur des einarmigen Berti. Obwohl er nur ein kleiner Junge ist, zeigt er eine erstaunliche Entschlossenheit und Unabhängigkeit. Seine Behinderung wird von Nawrat nicht als Mitleidsfaktor genutzt, sondern als Stärke dargestellt. Lipa, die Erzählerin der Geschichte, ist ebenfalls eine bemerkenswerte Figur. Sie ist klug, mutig und unabhängig, ohne dabei aber unnatürlich erwachsen oder unfehlbar zu wirken.
Das Buch ist in jedem Fall lesenswert, jedoch sollte man bedenken, dass es keine leichte Kost ist. Wer eine schnelle, unterhaltsame Lektüre sucht, ist hier fehl am Platz. „Unternehmer“ beschäftigt sich mit existentiellen Themen wie Kapitalismuskritik, Familienstrukturen und dem Überlebenskampf in einer immer ungleicher und unberechenbarer werdenden Welt.
Matthias Nawrat hat in seinen bisherigen Werken immer wieder gezeigt, dass er ein Meister des düsteren Realismus ist. Auch in „Unternehmer“ beweist er erneut, dass er ein außergewöhnlicher Sprachkünstler ist, der es versteht, mit wenigen Worten eine Welt voller Emotionen und Stimmungen zu erschaffen.
Abschließend sei noch erwähnt, dass Matthias Nawrat selbst eine beeindruckende Biografie hat, die viele Parallelen zu Lipas Familiengeschichte aufweist. Nawrat wurde in Polen geboren und wuchs in Deutschland auf. Seine Bücher beschäftigen sich oft mit den Themen Heimatlosigkeit, Identitätsfindung und Familiengeschichte. In „Unternehmer“ greift er diese Themen erneut auf und zeigt, wie eng verwoben sie mit gesellschaftlichen Fragen wie Globalisierung und Kapitalismus sind.