In „Junges Licht“ erzählt Ralf Rothmann von den letzten Wochen der Kindheit, die von leisen Schrecken und erhellendem Trost geprägt sind. Die Protagonisten sind Kinder, die in der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet aufwachsen. Sie erleben Armut, Gewalt, Krankheit und Tod, aber auch Freundschaft, Liebe und Hoffnung.
Rothmanns Sprache ist eindringlich und poetisch, ohne kitschig zu sein. Er findet Bilder und Metaphern für die Empfindungen seiner Figuren, die manchmal diffus und unbenennbar sind. Er spiegelt die Kaputtheit der Welt, aber auch ihre Schönheit und Zärtlichkeit. Er erzählt von der Verwundbarkeit der Kinder, aber auch von ihrer Kraft und ihrem Willen.
Im Zentrum der Geschichte steht der zwölfjährige Julian, der zu Beginn des Romans den Tod seiner Mutter erlebt. Er muss sich um seinen vierjährigen Bruder kümmern, während sein Vater als Lastwagenfahrer unterwegs ist. Julian ist klug, sensibel und eigenwillig. Er träumt von einer besseren Zukunft, von einer Welt ohne Gewalt und Armut. Er liest Bücher, hört Jazz, schwärmt für die junge Nachbarin Sylvia. Er versucht, gegen die Erwachsenen anzukämpfen, die ihm seine Träume und Ideale zerstören wollen.
Julian ist aber auch verängstigt und verletzt. Er hat Albträume, in denen er seine Mutter sieht. Er hat Angst, dass sein Vater ihn verlässt oder dass er krank wird wie sein Bruder. Er ist unsicher, ob er richtig handelt, wenn er stiehlt, lügt oder wegläuft. Er sucht nach jemandem, der ihm helfen und Vertrauen schenken kann.
In dieser Hinsicht ist es berührend, wie Julian sich an den alten Zirkusclown Ringo wendet, der in einem Wagen auf der Wiese vor der Siedlung wohnt. Ringo, der selbst eine schwierige Vergangenheit hat, wird zu Julians Freund, Mentor und Vorbild. Er erzählt ihm Geschichten, spielt Trompete, zeigt ihm seine Sammlung von Souvenirs und kuriosen Dingen. Er gibt ihm den Rat: „Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren. Nie.“ Dieser Satz wird zu einem Motto für Julian und zum Herzstück des Romans.
Gekonnt verwebt Rothmann die verschiedenen Handlungsstränge, die sich um Julian ranken. Er stellt andere Kinder vor, wie die wilde, aber sensible Ingrid, den angepassten, aber feigen Benni oder den skurrilen, aber cleveren Matthias. Er zeigt Erwachsene, wie Julians alkoholkranken Onkel oder den korrupten Schuldirektor oder den freundlichen Hausmeister. Er beschreibt die Orte, wie die Siedlung mit ihren Klinkerhäusern, Gärten, Spielplätzen und Brachflächen oder die umliegenden Straßen, Wälder, Bahntrassen und Zechen.
Ralf Rothmann, geboren 1953 in Schleswig, ist ein deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor. Er studierte Germanistik und Philosophie in Köln und arbeitete u.a. als Bergmann, Schauspieler und Reisender. Er erhielt mehrere Preise für sein literarisches Werk, darunter den Wilhelm-Raabe-Preis, den Fontane-Preis und den Thomas-Mann-Preis. Er ist bekannt für seine einfühlsamen und poetischen Romane, die oft autobiografisch geprägt sind und gesellschaftskritische Themen behandeln.
Die Atmosphäre des Romans ist geprägt von Kontrasten und Ambivalenzen. Sie ist düster und lichtvoll, trist und farbig, bitter und süß. Sie ist eine Mischung aus Realismus und Poesie, die das Leben in seiner Vielschichtigkeit abbildet. Sie ist eine Hommage an die Kraft der Fantasie und der Freiheit, die auch in den dunkelsten Zeiten Hoffnung und Glück bringen können.