In „Oh…“ von Philippe Djian durchlebt die erfolgreiche Filmproduzentin Michèle einen Albtraum, als sie in ihrem Haus nahe Paris überfallen wird. Die Geschichte handelt von einer starken Frau, die sich mit den Konsequenzen dieses einschneidenden Ereignisses auseinandersetzen muss. Der Roman ist beklemmend und erzählt auf faszinierende Weise von Michèles Kampf, sich aus den Fängen eines gefährlichen Mannes zu befreien.
Als Leser begleitet man Michèle auf ihrem Weg der Aufarbeitung des Erlebten. Dabei lernt man eine sehr komplexe Persönlichkeit kennen, die einem nicht immer sympathisch ist, aber dennoch fasziniert. Michèle ist eine Frau, die sehr zielstrebig und unnahbar auftritt, aber innerlich doch sehr verletzlich ist. Durch den Überfall wird ihre Fassade zerbrochen und sie muss sich mit ihrer Vergangenheit und ihren Beziehungen auseinandersetzen.
Besonders bedrückend ist die Beziehung zwischen Michèle und ihrem Angreifer. Der Mann dringt in ihr Leben ein und scheint sie vollständig zu beherrschen. Eine starke sexuelle Komponente kommt ins Spiel, dem Leser ein Gefühl von Unbehagen vermittelt. Es ist schwer zu sagen, ob Michèle unter Stockholm-Syndrom leidet oder ob sie die Kontrolle bewusst abgibt. Djian spielt gekonnt mit den Gefühlen des Lesers und lässt Raum für eigene Interpretationen.
Eine weitere interessante Facette des Buches sind die familiären Beziehungen von Michèle. Ihre Mutter ist eine ehemalige Schauspielerin, die sich aufgrund ihrer Schönheit immer im Rampenlicht bewegt hat. Michèles Vater hingegen hat sie früh verlassen und ist nach Amerika gegangen. Beide Elternteile prägen Michèles Charakter auf unterschiedliche Weise und zeigen, dass nicht nur der Überfall, sondern auch das familiäre Umfeld immer noch eine Rolle in Michèles Leben spielen.
Der französische Schriftsteller Philippe Djian wurde am 3. Juni 1949 in Paris geboren. Anstatt seine Zeit an der Universität Paris VIII in Vincennes fortzusetzen, ging er nach New York und arbeitete für die Librairie française im Rockefeller Center und dann in Kolumbien als Journalist für die französische Presse. Leider war er in diesem Bereich nicht sehr erfolgreich und kehrte schließlich nach Frankreich zurück. Wo er zunächst als Lektor bei Détective tätig war und arbeitete dann als Buchhändler sowie in verschiedenen Gelegenheitsjobs, bevor er 1978 sein erstes Buch mit Erzählungen veröffentlichte. Seine Schriftstellerkarriere erreichte einen Durchbruch mit dem bahnbrechenden Buch „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“ im Jahr 1985. Mit dem Roman „Oh … erhielt“ er 2012 den renommierten Prix Interallié.
Insgesamt ist „Oh …“ ein Buch, das unter die Haut geht. Djian gibt uns einen Einblick in das Innenleben einer Frau, die schwerste Schicksalsschläge erlebt hat. Dabei geht es nicht nur um den Überfall, sondern auch um Familienbeziehungen, Beziehungen zu Männern und um das Erwachsenwerden. Djian stellt komplexe Charaktere vor und lässt Raum für eigene Interpretationen. Ein Buch, das lange in Erinnerung bleibt.